Überlagerung – Vollzug mit Augenmaß?

Die deutsche Kreislaufwirtschaft ist in verschiedener Hinsicht von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. Unter anderem sind ein erhöhtes Aufkommen an Sperrmüll und Leichtverpackungen (LVP) sowie sonstigen Abfällen zu verzeichnen. Hinzu kommen Probleme bei der Absteuerung von sortierten Abfällen, da es insbesondere bei den weltweit zu bedienenden Absatzmärkten zu Leistungsstörungen kommt. Häufige Folge dieser Entwicklung ist eine Überlagerung von Anlagenstandorten, die über entsprechende Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz verfügen.

Formaljuristisch stellen solche Überlagerungen ggf. straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevante Abweichungen von der Genehmigung bzw. Änderungen von genehmigungsbedürftigen Anlagen dar, die entweder einer vorherigen Anzeige nach § 15 BImSchG unterliegen, falls sie unwesentlich sind, oder einer Genehmigung nach § 16 BImSchG bedürfen. Die Beantwortung der Frage, ob eine Anzeige nach § 15 BImSchG genügt, hängt davon ab, ob die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebes einer genehmigungsbedürftigen Anlage nachteilige Auswirkungen hervorruft, die für die Prüfung der einschlägigen Genehmigungsvoraussetzungen erheblich bzw. die nachteiligen Auswirkungen nicht offensichtlich gering sind. Andererseits gilt, dass eine Genehmigung stets erforderlich ist, wenn die Änderung für sich genommen die Leistungsgrenzen oder Anlagengrößen des Anhangs zur vierten BImSchV erreicht (§ 16 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BImSchG).

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hat in einem Schreiben an die Recyclingverbände vom 08.04.2020 in Ansehung der Corona-Pandemie auf Nachfrage erklärt, dass der Vollzug der Bundesgesetze Ländersache sei und ggf. auftretende Probleme durch einen „Vollzug mit Augenmaß“ durch die Länder zu bewältigen seien. In der Praxis kann ein „Vollzug mit Augenmaß“ sicherlich stattfinden, wenn es um die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder Ermessensvorschriften geht. Die starre Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BImSchG, wonach eine Genehmigung unter bestimmten Voraussetzungen „stets erforderlich“ ist, ist jedoch einem „Vollzug mit Augenmaß“ kaum zugänglich. Insoweit wäre der Bundesgesetzgeber gefragt, nicht jedoch der Ländervollzug.

Gleichwohl können sich zurzeit Betreiber einer nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigten Anlage, die mit der Problematik der Überlagerung konfrontiert sind, auf das zitierte Schreiben des BMU berufen und den „Vollzug mit Augenmaß“ einfordern. Nicht empfehlenswert ist hingegen, die Dinge auch in der jetzigen Situation „einfach laufen zu lassen“ und von den Instrumenten nach den § 15 und 16 BImSchG keinen Gebrauch zu machen.

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Köln, 19.05.2020

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