OVG Münster entwickelt neue Grundsätze zur Untersagung von gewerblichen Sammlungen

Das OVG Münster hat mit zwei Urteilen vom 21.09.2015 (Az. 20 A 2219/14 und 20 A 2120/14) neue Maßstäbe für die Untersagung gewerblicher Sammlungen entwickelt.
Nach der Auffassung des OVG Münster ist zunächst § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG als (widerlegliche) Vermutung bzw. als Regelfall mit Ausnahmevorbehalt zu verstehen. Einer weitergehenden verfassungs- oder unionsrechtskonformen einschränkenden Auslegung bedürfe es bei diesem Verständnis nicht. Die Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG sei damit im Ergebnis so zu verstehen, dass ein bestehendes hochwertiges Erfassungssystem des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten zwar regelmäßig, nicht aber ausnahmslos den Schluss rechtfertige, dass in diesem Fall die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten wesentlich durch eine gewerbliche Sammlung beeinträchtigt würde.
Es bleibe aber stets zu prüfen, ob bei der Beeinträchtigung des konkreten Einzelfalls Umstände zu erkennen seien, die – im Sinne einer Widerlegung der Vermutung bzw. einer Ausnahme vom Regelfall – ein anderes Ergebnis tragen würden. Als Anknüpfungspunkt für entgegenstehende überwiegende öffentliche Interessen kämen dabei vom Grundsatz her die Auswirkungen auf die Sammelmenge des öffentlichrechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten in Betracht. Das Ausmaß der Auswirkung auf die Sammelmenge lasse Rückschlüsse darauf zu, ob und in welchem Umfang das Sammelsystem in seiner Ausgestaltung gegebenenfalls geändert werden müsse, um unter Berücksichtigung der in Frage stehenden gewerblichen Sammlungen ohne größere Beeinträchtigung zu funktionieren.
Angesichts dessen könne ein Ausnahmefall im Sinne der Zulässigkeit einer gewerblichen Sammlung auch dann in Betracht kommen, wenn die Erfahrung mit einem bisher unbeanstandeten Nebeneinander des öffentlich-rechtlichen Entsorgungssystems und (neuer) gewerblicher Sammlungen eine nennenswerte Auswirkung allenfalls als theoretische Möglichkeit erscheinen ließen. Dies könnte ins-besondere der Fall sein, wenn das Erfassungssystem des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten sich überhaupt erst aus einer Konkurrenzsituation entwickelt habe.
Bei dieser Betrachtung seien alle tatsächlich durchgeführten Sammlungen zu berücksichtigen, sowie solche gewerblichen Sammlungen, die zum maßgeblichen Zeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen noch nicht wirken könnten. Nicht berücksichtigt werden dürften jedoch gemeinnützige Sammlungen. Weiterhin könne grundsätzlich zur Ermittlung der Sammelmenge der gewerblichen Sammler auf deren Angaben in deren Anzeige zurückgegriffen werden.
Hinsichtlich der Gegenüberstellung der von den gewerblichen Sammlern erfassten Sammelmengen und den vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gesammelten Mengen hat das OVG Münster Faustgrößen entwickelt, nach denen im Einzelfall zu berücksichtigen ist, ob eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt.

Danach gilt Folgendes:

  • Eine insgesamt zu berücksichtigende gewerbliche Sammlung von unter 10 % des vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger/Drittbeauftragten Gesammelten spräche regelmäßig dafür, dass auch mit Hinzutreten der angezeigten Sammlung kein wesentlicher Einfluss auf das bestehende hochwertige öffentlich-rechtliche System verbunden ist.
  • Für den Fall, dass etwa 10 % bis 50 % der Sammelmenge des öffentlich-rechtlichen Entsor-gungsträgers/Drittbeauftragten erfasst würden, sei es grundsätzlich Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, konkrete Auswirkungen auf seine Funktionsfähigkeit unter dem Blickwinkel der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung seines Systems plausibel zu machen.
  • Liege hingegen die gewerbliche Sammlung über 50 % des vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten gesammelten Abfalls, sei regelmäßig von einer wesentlichen Beeinträchtigung auszugehen.

Das OVG Münster konkretisiert damit die Schwellen, wann von einer wesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist. Dies wird auf die Praxis und auf die zurzeit anhängigen Gerichtsverfahren zumindest in Nordrhein-Westfalen wesentlichen Einfluss haben. Zu beachten ist aber auch, dass eine apodiktische Anwendung der Quoten regelmäßig nicht in Betracht kommt. Denn das OVG Münster hat betont, dass im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung auch davon ausgegangen werden kann, dass die bereits durchgeführten Sammlungen zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung geführt haben, wenn die Sammelmengen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten in den vergangenen Jahren (kontinuierlich) angestiegen oder jedenfalls unverändert geblieben sind. Dies bedeutet, dass unabhängig von den vom OVG Münster entwickelten Schwellenwerten, sich eine wesentliche Beeinträchtigung auch an den Sammelmengen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers/Drittbeauftragten zeigen muss. Dies ist zumindest dann nicht der Fall, wenn die Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers und die gewerblichen Sammlungen in der Vergangenheit nebeneinander bestanden haben. Dies dürfte in der Praxis aber regelmäßig der Fall sein.
Weiterhin hat das OVG Münster die Revision zugelassen. Es ist daher davon auszugehen, dass erst eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts endgültige Klarheit bringen wird. Wann eine solche Entscheidung erfolgt, ist hingegen völlig offen.

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Köln, 24.11.2015

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